Leidenschaft, Tragödien und ganz viel Emotionen: August-Wilhelm Winsmann lässt uns auf gut 40 Jahre Polizeidienst zurückblicken
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- Kategorie: Region Aktiv
- Veröffentlicht: Freitag, 27. Mai 2016 12:42
Kreis Holzminden (kp). Am 22. April durfte August-Wilhelm Winsmann seine wohlverdiente Verabschiedung als 1. Polizeihauptkommissar und Leiter des Einsatz- und Streifendienstes des Polizeikommissariats Holzminden feiern. Nach 41 Jahren Polizeidienst markierte dieser Tag das letzte Mal, dass der Vollblut-Polizist in seine Uniform schlüpfen durfte. Die feierliche Verabschiedung in den Ruhestand fand im Weserhotel statt.
Kurze Zeit später treffe ich, Journalist Kai Pöhl, stellvertretend für die Redaktion den zukünftigen Pensionär nach gemeinsamer Absprache an alter Wirkungsstätte: Dem Polizeikommissariat Holzminden. „Die werden mir hier sicherlich nicht die Tür vor der Nase zusperren“, scherzte Winsmann zuvor noch am Telefon.
Auf die Sekunde genau betrete ich das Gebäude. Ein Blick in die Wache - Winsmann ist schon da und unterhält sich mit einem ehemaligen Kollegen, der an diesem Tag Dienst hat. Mein Augenmerk konzentriert sich auf seine schwarze Lederjacke und mir wird bewusst, dass er mir in Kürze das erste Mal in Zivil gegenübertreten wird. Mir wird Zugang gewährt. Ich betrete ebenfalls die Wache und begrüße zuerst meine Verabredung und anschließend seinen ehemaligen Kollegen mit einem freudigen Handschlag. Wir suchen unser Gespräch in einer Art Aufenthaltsraum und fangen mit einer Tasse Kaffee und gefälligem Konversationseinstieg an: „Wie fühlen sich ihre ersten Tage im Ruhestand an?“ „Offiziell habe ich ja noch Urlaub und so fühlt es sich auch noch an“, entgegnet Winsmann meiner Frage.
Ein Blick zurück: Der ehemalige Polizeihauptkommissar lässt sein Berufsleben Revue passieren
August-Wilhelm Winsmann nahm am 4. November 1974 seine Grundausbildung bei der Polizei auf: In den sieben Monaten in Hann. Münden sollte ihm der sogenannte Fachlehrgang 1 angeeignet werden. Anschließend verbrachte er anderthalb Jahre bei der Bereitschaftspolizei in Braunschweig, wo er weitergehende Ausbildungen in den Bereichen Verkehr, Funk und Fotos absolvierte: „Meine stärksten Erinnerungen an diese Zeit sind die Waldbrandkatastrophe in der Lüneburger Heide und der Bruch des Elbe-Seitenkanals!“ Der Brand in der Lüneburger Heide war im August 1975 die bis dahin größte Brandkatastrophe der Bundesrepublik Deutschland. Sieben Menschen, überwiegend von der Brandgewalt überraschte Feuerwehrleute, wurden durch die Auswirkungen des Feuers getötet, tausende Hektar Wald und Heideland zerstört und die bundesweite mediale Berichterstattung kannte tagelang kein anderes Thema. August-Wilhelm Winsmann war mittendrin: „Wir ermittelten an einigen Orten wegen des Verdachts auf Brandstiftung!“
Dann betritt der Leiter des Polizeikommissariats, Polizeirat Marco Hansmann, den Aufenthaltsraum. Eine herzliche Begrüßung zwischen ihm und dem langjährigen Kollegen. Der Polizeirat hatte sich zuvor wohl nicht richtig verabschieden können und bittet Winsmann nach unserem Treffen nochmal in sein Büro.
Die Stelle als Polizeirat konnte August-Wilhelm Winsmann in 41 Berufsjahren nie antreten, obwohl er immer mal wieder Vakanzen wahrgenommen hatte, wie er sagt. „In den 1990er Jahren wurde bei der Polizei der zweifache Dienst eingeführt, der gehobene und der höhere. Ich fiel in den gehobenen Dienst und hatte bereits nach 25 Jahren den höchsten Dienstgrad als 1. Polizeihauptkommissar erreicht“, antwortete er auf meine Frage, ob die Leitung des Polizeikommissariats Holzminden auch persönlich für ihn in Frage gekommen wäre. 1983 beendete Winsmann seine Ausbildung zum Polizeikommissar, wiederum in Hann. Münden. Zwei Jahre später folgte die Versetzung als stellvertretender Dienststellenabteilungsleiter nach Bodenwerder.
Sein Dienstantritt in Holzminden begann mit einer der größten Tragödien der deutschen Kriminalgeschichte
Sein Antritt beim Polizeikommissariat Holzminden, wo er bis zu seinem Dienstende bleiben sollte, erfolgte am 1. Oktober 1991 und begann mit einer der größten Tragödien der deutschen Kriminalgeschichte. Hatte ich August-Wilhelm Winsmann zuvor am Telefon die Absicht meines Interviews geschildert, die intensivsten Ereignisse seines Polizeidienstes hervorheben zu wollen, sagte er, ohne meinen Satz auch nur ansatzweise beenden zu lassen: „Das war der 12. Oktober 1991“. Es war der Tag, der sich als „Polizistenmord von Holzminden“ in die Köpfe aller Bundesbürger brennen sollte.
„Es war erst mein dritter Nachtdienst, als ich die Polizeidienststelle betrat“, fängt Winsmann, der zum damaligen Zeitpunkt schon eine Dienstabteilung in Holzminden übernommen hatte, zu erzählen an. Bereits seine ersten Sätze, die von der Tatnacht erzählen, und die Art, wie er seinen Erzählton senkt, lassen das Gefühl zu, als liefe das ganze Geschehen noch einmal vor seinem inneren Auge ab. „Ein Mann, der sich am Telefon als Meier ausgab, setzte über eine Notrufsäule auf einem Waldparkplatz zwischen Boffzen und Neuhaus einen Notruf ab, dass sich ein Wildunfall ereignet hat und er die Polizei um eine Unfallaufnahme bittet. Der Notruf ging zunächst bei der Polizei Höxter ein und wurde automatisch aufgezeichnet. Gegen 2:35 Uhr bekam ich einen Anruf von einem Kollegen aus Höxter, ich möchte mich darum kümmern, dass der Unfall aufgenommen wird. Zu diesem Zeitpunkt befand sich eine Streife auf der Wache. Dann meldete sich über Funk eine weitere Streife, die sich gerade auf dem Rückweg von Lauenförde befand und sich kurzfristig angeboten hatte“. Die beiden Polizisten, die nur kurze Zeit später ermordet werden sollten.
Winsmann macht eine kurze Pause und nimmt einen Schluck Kaffee. Und dann: „Ich hatte wochenlang damit zu kämpfen. Ich fragte mich immer wieder, wie ich das hätte verhindern können. Aber ich hatte keine Antwort!“ Winsmann hatte anfangs die sich auf der Wache befindende Streife rausschicken wollen. Im letzten Moment meldete sich die zweite Streife per Funk, die späteren Mordopfer. Ich fragte Winsmann, ob die Tatsache, dass sich die beiden Polizisten freiwillig meldeten, ihm ein wenig von den Selbstvorwürfen nahm. „Ich weiß es nicht. Vielleicht!“ Er erzählte weiter: „Eine halbe Stunde lang hörten wir nichts von ihnen. Keine Meldung. Also schickte ich die zweite Streife los, um nachzuschauen. Wir hatten lange nichts gefunden und nicht den geringsten Anhaltspunkt, was passiert sein könnte.“
Ich fragte, ob er auch am Tatort gewesen sei. „Ja“, antwortete er. „Dann stießen wir auf Patronenhülsen und Blut. Und auf Gewebereste“, die sich später eindeutig den beiden vermissten Polizisten zuordnen ließen. „Uns war sofort klar, dass hier ein Verbrechen passiert sein musste. Ich forderte sofort Unterstützung aus Bodenwerder und Stadtoldendorf an!“ Was folgte, war eine der größten Suchaktionen der deutschen Nachkriegsgeschichte. Fast 6000 Beamte aus drei Bundesländern suchten Tag und Nacht nach den beiden vermissten Polizisten, zu denen urplötzlich der Kontakt abgebrochen war. Die Suche blieb erfolglos. Einzig der ausgebrannte Passat der beiden Vermissten wurde in Senne bei Bielefeld gefunden. Als wichtigstes Beweisstück sollte sich die Tonaufnahme des Notrufs herausstellen. Spracherkennungsexperten des Bundeskriminalamtes werteten die Qualität des Anrufes aus und gingen damit an die Öffentlichkeit. Eine eigens eingerichtete Hotline für Zeugen konnte schließlich den entscheidenden Hinweis geben, sodass die Täter nur vier Tage später gefasst werden sollten.
Nach dem Polizistenmord: "Der schlimmste Gang war der Weg zu den beiden Witwen"
Während der Ermittlungen hatte August-Wilhelm Winsmann nur einen geringen Einfluss, da diese nun von anderer Stelle geführt wurden: „Meine Aufgaben in diesem Fall fanden auf anderer Ebene statt. Der schlimmste Gang für mich war der am nächsten Morgen zu den beiden Witwen, da wir bereits wussten, dass sie tot waren. Ich kannte beide Opfer und deren Familien gut. Mit dem einen hatte ich damals bei der Polizeischule angefangen. Den anderen hatte ich über den Polizei-Fußball kennengelernt. Wir waren über den Dienst gute Freunde geworden.“
Die Ergreifung der Täter sollte so spektakulär wie alles andere in diesem Fall verlaufen. Nachdem die Ermittler den Anrufer identifiziert hatten, harrten Hundertschaften der Polizei vor dem unmittelbaren Umfeld des Aufenthaltsortes der Täter aus. Der Leiter der Mordkommission ließ für die genaue Verortung Wärmebildkameras einsetzen. Festgenommen wurden drei Brüder. Darunter befand sich Dietmar J., der als Haupttäter und Waffennarr ausgemacht werden konnte und anschließend zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Das Motiv war Hass auf Polizisten. Es hätte jeden Uniformierten treffen können. Dietmar J. gestand, die beiden Streifenpolizisten erschossen und die Leichen verschleppt zu haben. Anschließend führte er die Beamten zu den Ermordeten. August-Wilhelm Winsmann musste damals im Prozess im Zeugenstand aussagen: „Das Urteil kam wie erwartet. Es bringt meine Kollegen aber leider auch nicht mehr zurück!“
Unsere Kaffeetassen sind mittlerweile leer. Seine Erzählung ist jetzt zu Ende, das beweist der nun wieder normale Ton seiner Stimme. „Solche Ereignisse sind natürlich die ganz seltenen Ausnahmesituationen. Der tägliche Dienst im Landkreis Holzminden kennzeichnet sich mit dem, was wir Grundrauschen nennen. Das sind menschliche Dinge, die passieren. Verkehrsunfälle, Einbrüche und Körperverletzungen.“
Schwere Fälle zu Beginn und Ende seiner Polizeikarriere
Zum Schluss konfrontiere ich den Polizeihauptkommissar außer Dienst und langjährigen Pressesprecher mit einer simplen Feststellung: Seinen Polizeidienst in Holzminden kennzeichnen genau zwei solcher Ausnahmesituationen, die jeweils unmittelbar am Anfang und am Ende seiner Zeit stattgefunden haben. Zum einen der bereits angesprochene Polizistenmord und zum anderen der Mordfall Katrin am Holzmindener Hafen. Mein Gegenüber versteht die Frage sofort und schaut dennoch so, als hätte er zuvor noch nie darüber nachgedacht: „Stimmt. Ich kannte Katrin. Ihr Vater war ein ehemaliger Kollege von mir. Als die damals am Tatort eingetroffenen Polizisten die Leiche als Katrin identifizierten, bin ich sofort zu den Eltern gefahren, um sie zu benachrichtigen. Die Familie steht in solchen Fällen immer an erster Stelle, sie dürfen es einfach nicht zuerst aus den Nachrichten erfahren!“
Ich weiß jetzt, dass ich alles habe, was ich brauche. Wir verabschieden uns. Ich verlasse das Gebäude ohne ihn, da er noch zu seinem alten Chef muss. Wir geben uns noch mit auf dem Weg, dass wir uns hoffentlich bald mal wiedersehen werden. Beruflich, dann aber nicht mehr als August-Wilhelm Winsmann der Polizist, sondern als August-Wilhelm Winsmann der Schalke-Fan und Fußballfunktionär.
Fotos: kp, Winsmann