„Wir haben die Nase voll“: Hunderte Gegner demonstrieren gegen die Erweiterung der Aschedeponie
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- Kategorie: Region Aktiv
- Veröffentlicht: Sonntag, 17. April 2016 20:00
Wangelnstedt/Kreis Holzminden (rus). Die Anwohner sind genervt: Die geplante Erweiterung der Aschedeponie zwischen Wangelnstedt und Lüthorst erhitzt die Gemüter einmal mehr. Denn das, was sie hier seit 28 Jahren ertragen müssen, soll sich mit einer nahezu Verdopplung der derzeitigen Aschemenge noch viele weitere Jahre hinziehen. Mit einem großen Sonntagsspaziergang demonstrierten jetzt die Bürger.
Um dem Luft zu machen, was die Anwohner hier bewegt, konnten die Organisatoren am Sonntag zahlreiche Teilnehmer zu ihrem Sonntagsspaziergang begrüßen. Mit Kundgebungen, zahlreichen Transparenten und Trommeln machten sie ihrem Ärger Luft. Sie fordern die umgehende Einstellung des Deponiebetriebes und wollen endlich Klarheit haben, dass die von der Deponie verwehende Asche als sichtbarer und unsichtbarer Feinstaub ihre Gesundheit doch nicht beeinträchtige. Auch, wenn davon inzwischen keiner mehr ausgehen darf.
Die Verfüllung eines ehemaligen Gipstagebaus zwischen Wangelnstedt und Lüthorst, der durch die Betreibergesellschaft GFR mit Sitz in Würzburg durchgeführt wird, beherbergt derzeit nahezu 2,7 Millionen Kubikmeter Aschereste, die zu einem bedeutenden Anteil aus Kraftwerken der Volkswagen AG aus Wolfsburg, Hannover und Braunschweig stammt. Während die Volkswagen-Werke weltweit mit ihren Abgas-Skandal derzeit regelmäßig für Nachrichten sorgen, haben hingegen die Abfallprodukte aus den Werken offenbar auch Auswirkungen auf die Gesundheit der Bürger im Landkreis Holzminden. Die nur 350 Meter vom ersten Grundstückszaun in Wangelnstedt entfernt gelagerten Aschereste auf der Deponie wehen bei ungünstigen Windverhältnissen auf das Dorf – und als Feinstaub in die Lungen ihrer Einwohner. Bei einer Vergrößerung des Volumens befürchtet man hier, wachse auch die Belastung im Dorf und der Region.
Denn nicht nur der sichtbare Aschestaub, der sich auf Autos, Häuserdächer und Gartenmöbel legt, ärgert die unmittelbar betroffenen Anwohner in Wangelnstedt. Sondern vielmehr beunruhigt sie das Wissen, dass sich tagtäglich unsichtbarer Feinstaub direkt in der Lunge ablagert. Auf die vorhandenen Gesundheitsrisiken haben die Bürger längst hingewiesen, selbst sogar eigene Proben sowohl von der Deponie selbst, als auch von angrenzenden Ackerflächen genommen. Das erschreckende Ergebnis: Giftige Dioxine sind nachweisbar, in einem Fall wurde sogar Quecksilber entdeckt. Allerdings ließ sich bislang die Betreibergesellschaft davon nicht beeindrucken und hat ihre Planungen auf den Weg gebracht. Seitens der GFR fühlt man sich im Recht und pocht darauf, die vorherrschenden Grenzwerte einzuhalten. „Da müssen Sie durch“, hatte noch im Dezember Dr. Michael Zingk von der GFR den Wangelnstedter Bürgern um die Ohren gehauen. Das klingt nicht gerade nach einem harmonischen Miteinander.
Der Genehmigungsprozess wurde in Gang gebracht, nun wartet man auf eine Mitteilung aus dem Gewerbeaufsichtsamt. „Nun warten wir auf den Bescheid“, sagt ein Wangelnstedter Bürger. In der kommenden Woche wolle man bei der Polizei Starfanzeige erstatten – wegen Körperverletzung. Die Anwohner fühlen sich hintergangen, nicht nur, weil man die Planungen trotz des großen Protestes weiter vorangetrieben habe, sondern auch, weil man sich auch seitens des Betreibers auch weiterhin uneinsichtig zeige.
Das, was viele nicht verstehen, und wo nun auch die Politik hellhörig geworden ist: Es gibt sogar eine Möglichkeit, die entstehenden Dioxine und Furane, die für den Menschen giftig sind, um rund 99,5 Prozent zu vermindern. Die Rede ist hierbei vom sogenannten Hagemeyer-Katalysator, der, so die Ansicht der Wangelnstedter Bürgerinitiative, in den Branchen bekannt sein dürfte. Natürlich erfordere der aber auch weiter Kosten für die Unternehmen. Uwe Schünemann verfolgte wie auch Michael Vietz (beide CDU) oder Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) die Veranstaltung am Sonntag und kommt zu einem eindeutigen Ergebnis. „Ich sehe hier die Gesundheitsämter in der Pflicht, tätig zu werden“, fordert er die Behörde auf. Die Gesundheitsämter müssen dem Verdacht als erste Instanz nachgehen.
In der weiteren Vorgehensweise sichert Schünemann seine Unterstützung zu: „Hier ist das Land Niedersachsen voll dabei“, sagt er, wenn es um die Prüfung gehe, ob etwa eine modernere Technik in den Werken dazu führen könne, die Dioxinbelastung erheblich zu senken. Auch Gabriele Lösekrug-Möller bietet Unterstützung an und verlangt ein konsequentes Monitoring. „Hier geht es um Gesundheitsgefährdung, da spielen wir in einer anderen Liga“ sagt sie und bringt die Brisanz damit auf den Punkt. Dass man seitens der Betreibergesellschaft offenbar nicht einmal nach Alternativstandorten gesucht habe, stimmt die Teilnehmer einer zuvor am Mittag einberufenen Pressekonferenz bedenklich.
In dem folgenden, friedlichen Sonntagsspaziergang, der nicht nur aufgrund der zahlreichen Schilder an eine Demonstration erinnert, setzten sich hunderte Teilnehmer in Richtung Aschedeponie in Bewegung. Dort, wo nach Plänen der GFR bald schon weitere 2,4 Millionen Kubikmeter Asche aufgetragen werden sollen, zeigen sich derzeit noch seltene Vögel wie der Neuntöter oder Rotmilan unbeeindruckt von der Deponie und bauen ihre Nester. Das Gelände ist Vogelschutzgebiet und sogenanntes mesophiles, also artenreiches Grünland. Mit der Ruhe könnte es also, geht es nach dem Sillen der GFR, hier schon bald vorbei sein. Allein schon aus diesem Grund rechnet man damit, wird es in Zukunft noch größeren Protest, nicht nur aus Wangelnstedt, geben.
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Nachfolgend die bisherigen Berichterstattungen:
06.04.2016: Giftige Asche? Bürger wollen im Kampf gegen die Deponieerweiterung nun auf die Straße gehen
26.02.2016: Die Schadstoffe im Blick: Wangelnstedter fordern ganzjährige Luftmessung
15.12.2015: Für die Deponie 2,4 Millionen Kubikmeter Zusatzvolumen: Eine Erweiterung, die einfach nicht gewünscht ist
Fotos: rus, jün