Aus Respekt vor einem hundertjährigen Hochwasser: Ein Resümee zum Hochwasserschutz in Stadtoldendorf (BP17)
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- Kategorie: Region Aktiv
- Veröffentlicht: Mittwoch, 13. April 2016 06:40
Stadtoldendorf (rus). Der Eberbach plätschert leise und idyllisch vor sich hin, besiedelt von Enten und Eisvögeln. Viele nehmen den stillen Bach kaum wahr, schlängelt er sich doch für viele nahezu unauffällig zwischen den Wohnhäusern und Privatgärten entlang. Dabei wird allerdings auch leicht unterschätzt, dass der Eberbach in Wirklichkeit ein riesiges Einzugsgebiet rund um Stadtoldendorf hat.
Teile des Sollingvorlandes, des Holzberges und des Deenser Feldes gehören dazu und speisen ihn mit Wasser. Starkregenfälle, Gewitterregen, Dauerregen und die Schneeschmelze machen den Eberbach dann schnell zu einem unberechenbaren Untier. Das wissen besonders die Mitglieder und Initiatoren der 2009 ins Leben gerufenen Interessengemeinschaft Hochwasserschutz Stadtoldendorf, die seit vielen Jahren um ihr eigenes Hab und Gut bangen müssen.
Früher wurden bei Hochwasser zunächst die unbebauten Teichwiesen als Ausgleichsfläche genutzt und bei Starkregenereignissen geflutet, ohne dass der ausufernde Bach größere Schäden anrichten konnte. Dies änderte sich 1892, als die Neue Straße gebaut wurde und die ersten Wohnhäuser dort entstanden. Damals errichtete man jene Gebäude wegen des morastigen Untergrundes sogar noch auf Eichenpfählen, um sie stabil genug zu gründen, erzählt Klaus Moritz. Allen Hoffnungen zum Trotz überraschte dann aber bereits 1898 das erste 100-jährige Hochwasser die Anlieger der Neuen Straße, weitere Hochwasserereignisse sollten in den späteren Jahrzehnten folgen.
Baum pflanzen verboten: Nachteile im Überschwemmungsgebiet
Heute befinden sich in dem gefährdeten Gebiet rund 80 Grundstücke, wovon 65 bebaut sind und 18 gewerblich genutzt werden. Der gesamte Bereich ist inzwischen als Überschwemmungsgebiet ausgewiesen. Diese amtliche Festsetzung soll einen ungehinderten und schnellen Wasserabfluss bezwecken, verursacht aber auch große Nachteile für die dort lebenden Anwohner. Eine Wohngebäudeversicherung die auch Hochwasserschäden abdeckt ist fast gar nicht oder nur bei teuren Selbstbehalten möglich. Auch können aufgrund des Gefahrenbereiches die Grundstücke und Gebäude in dem betroffenen Bereich längst nicht mit den Immobilienpreisen in anderen Stadtteilen mithalten. Die Festsetzung als Überschwemmungsgebiet bedeutet aber auch, dass nicht einmal eine Mauer quer zur Fließrichtung gezogen oder ein neuer Kompost errichtet werden darf. Auch eine nur kurzfristige Ablagerung von Gegenständen, die den Wasserabfluss behindern oder fortgeschwemmt werden können, ist verboten. Eine Erhöhung oder Vertiefung der Erdoberfläche oder auch das Anpflanzen von Bäumen und Sträuchern sind ebenfalls nicht möglich. Wer also einen neuen Kirschbaum pflanzen oder ein kleines Gartenhaus errichten möchte, darf das hier nicht.
Schwere Hochwasser führten zur Gründung einer Interessengemeinschaft
Die zuletzt schwereren Hochwasser gab es hier 1998 und 2006, die beide erhebliche Schäden bei den dort lebenden Anwohnern anrichteten. In dutzenden Kellern stand das Wasser teils bis in die erste Etage, Schlamm, Dreck und Feuchtigkeit sorgten für immense Schäden. In Stadtoldendorf lebt man mit dem Problem also schon seit vielen Jahrzehnten. Lange Zeit sind deshalb auch die beiden Anwohner Klaus Moritz und Jürgen Behringer engagiert und gründeten 2009 gemeinsam mit Bernd Weise, Manfred Meier, Kerstin Schoppe und Manfred Gordzielik die Interessengemeinschaft Hochwasserschutz Stadtoldendorf. Es ist eine Interessenvertretung aller betroffenen Anlieger, die sich zum Ziel gemacht hat, die betroffenen Grundstücke, Gebäude, Inventar- und Betriebseinrichtungen vor Hochwasserschäden zu schützen.
Angst und Respekt im Hochwassergebiet
Gemeinsam hat man mit den zuständigen Behörden und Verantwortlichen in den letzten sieben Jahren schon vieles erreichen können, auch wenn noch immer akute Gefahren herrschen. Angst und Respekt hat man deshalb in Stadtoldendorf noch immer: Respekt vor allem vor einem 100-jährigen Hochwasser, welches statistisch gesehen, wie der Name schon vermuten lässt, alle 100 Jahre einmal auftritt. War das letzte große 100-Jährige im Jahr 1898 könnte man meinen, sei der Termin heute längst überfällig. Davon will sich in Stadtoldendorf zwar keiner beunruhigen lassen, dennoch pocht man seitens der Interessengemeinschaft auch weiterhin auf die noch zu erledigenden Maßnahmen, die den Hochwasserschutz weiter steigern sollen.
Gerade der Hochwasserschutz hat in den vergangenen Jahren massiv dazugewonnen, was zum einen dem Bestreben der Interessengemeinschaft zu verdanken ist, zum anderen aber auch der Bereitschaft der beteiligten Akteure, im Hochwasserschutz voranzukommen. Und so gibt es seitens der IG ein großes Lob: „Die Interessengemeinschaft Hochwasserschutz Stadtoldendorf bedankt sich bei Rat und Verwaltung der Stadt, insbesondere bei Herrn Stadtdirektor Anders, bei der Unteren Wasserbehörde beim Landkreis Holzminden und bei dem Wasserverband Ithbörde-Weserbergland für die gute, konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit“, so Klaus Moritz. Neben einem besseren Hochwasserschutz habe aber auch das Stadtbild in den entsprechenden Bereichen dazugewonnen. „Unser Dank geht auch an alle Bürger, die von den Bauarbeiten beeinträchtigt waren und im ständigen Dialog die Arbeiten begleitet haben“, so Moritz.
Hochwasserschutz sei eine Gemeinschaftsaufgabe aller Bürger. Besaß der Eberbach vor 2009 noch eine Abflussleistung von sieben Kubikmetern pro Sekunde, konnte die Abflussmenge in den vergangenen Jahren unter großen Investitionssummen auf derzeit bis zu 14 Kubikmeter pro Sekunde gesteigert werden. Um mindestens einem 30-jährigen Hochwasser standhalten zu können, wurde zudem die Gestaltung des Bachprofils von der Twete bis zur Eberbachstraße angepasst sowie Böschung und Uferbereiche verändert. Ein Linienschutz durch ein mobiles Dammbalkensystem, welches im Notfall durch die Freiwillige Feuerwehr aufgebaut werden muss, soll die Gärten in der Neuen Straße vor Hochwasser bewahren und dem Eberbach zu einem schnelleren Abfluss verhelfen. Teil dieser Maßnahme war es auch, die ohnehin sanierungsbedürftige Eberbachbrücke zu erneuern und dadurch die Durchflussmenge zu steigern. In der Neuen Straße und auch in der Hoopstraße wurde zudem die Kanalisation in monatelangen Bauarbeiten saniert.
Zum Wohle der Anwohner ist hier also viel passiert, doch das war nicht immer so. „Durch jahrzehntelange Versäumnisse in der Unterhaltung des Baches wurden in der Vergangenheit bereits durch kleinere Ausuferungen erhebliche Schäden angerichtet“, so die Interessengemeinschaft. Gleichzeitig waren damals die hydraulisch überlasteten Regenwasserkanäle bei selbst kleineren Regenfällen oberflächlich ausgetreten und haben Straßen und Grundstücke unter Wasser gesetzt, im ungünstigsten Fall gab es bei Zusammenwirken von Bach und Siedlungswässern Wasser von zwei Seiten. Auch Autofahrer, die sich dessen nicht bewusst waren, sorgten etwa beim Befahren der Neuen Straße mitunter dafür, dass das Wasser zurück in die Keller gedrückt wurde. Bis zum Krankenhausweg, einer im Vergleich doch etwas weiter entfernteren Straße, hatte sich das Wasser teilweise bei Starkregenereignissen seinen Weg nach oben gesucht und aus den Kanälen gedrückt. Der Bereich ab der Kreuzung Neue Straße / Linnenkämper Straße ist eine der nächsten Baustellen. „Hier gibt es viele Schäden, die in naher Zukunft ebenfalls behoben werden müssen“, so Behringer. Durch eine Kamera-Befahrung wurden weitere Schäden im Kanalsystem sichtbar, die ebenfalls alsbald behoben werden müssen.
Wie geht es jetzt weiter?
Für einen nachhaltigen Hochwasserschutz in Stadtoldendorf hat die Interessengemeinschaft bis heute den in den Gefährdungsgebieten lebenden Angehörigen einen Bärendienst erwiesen. Ausruhen will man sich deshalb aber nicht. Die bereits getätigten Investitionen sind enorm, „all das gibt jedoch noch keinen Schutz vor dem 100-jährigem Überschwemmungsereignis“, so Behringer abschließend. Ein solches seltenes Hochwasser bedingt eine Abflussleistung von 17,2 Kubikmetern pro Sekunde und wird wahrscheinlich nur durch ein oder mehrere ausreichend dimensionierte Hochwasserrückhaltebecken zu bändigen sein. Es bleibt also auch weiterhin zu hoffen, dass ein derartiges Unwetterereignis noch lange auf sich warten lässt – und dass weitere Investitionen in die Sicherheit der Bürger folgen werden.
Dies ist ein Bericht aus der aktuellen Ausgabe unseres Printmagazins Blickpunkt (Ausgabe Nr. 17).
Fotos: rus, IG