Britischer Senkrechtstarter der Royal Air Force zerschellte bei Stadtoldendorf: Ein Ereignis aus dem Jahr 1972
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- Kategorie: Region Aktiv
- Veröffentlicht: Dienstag, 22. Dezember 2015 07:35
Stadtoldendorf (rus). Einigen Stadtoldendorfern dürfte jener Tag noch lange in Erinnerung sein. Es war ein Dienstag im März 1972, genauer gesagt der 21. März des Jahres, als Stadtoldendorf wieder einmal, wie so oft in den damaligen Zeiten, von tieffliegenden Düsenjägern überflogen wurde.
Längst hatten sich die Einwohner daran gewöhnt, dass die laut dröhnenden Flugzeuge meist in gut sichtbarer Höhe die Stadt überquerten. Doch an diesem Tag war alles ganz anders. Um 10.15 Uhr gab es einen lauten Knall, eine Rauchwolke, einen Absturz.
Ausgangspunkt der Geschehnisse ist der RAF Fliegerhorst Wildenrath in der Nähe von Mönchengladbach. Von dort stieg am 21. März 1972 der britische Flight Lieutenant Peter Anthony Donald Williams mit seiner Hawker Siddeley Harrier GR. 1, dem ersten Senkrechtstartertyp in Deutschland, in die Luft. Williams war Pilot der in Deutschland stationierten britischen Luftwaffeneinheit, sein Übungsflug an diesem Tag sollte ihn unter anderem über das Weserbergland, den angrenzenden Solling und über Teile Stadtoldendorfs führen. Die Rotte bestand aus insgesamt drei Flugzeugen desselben Typs, die Stadtoldendorf in geschätzten gut 100 Metern Höhe überflogen.
Laut Zeugenaussagen fing die Maschine von Williams plötzlich in der Luft Feuer, als sie gerade über ein Wohngebiet am Haidwinkel flog. Das Flugzeug scherte aus der Formation der drei Senkrechtstarter aus, doch seinen funktionstüchtigen Schleudersitz löste Williams nicht. Denn als Pilot stand es in seiner Pflicht, einen Absturz in bewohntem Gebiet zu verhindern. Williams zog die Maschine offenbar mit letzter Kraft über Stadtoldendorf hinweg. Die Unglücksmaschine berührte mit der Tragfläche den Boden, kippte in Rückenlage und zerschellte schließlich oberhalb des Hooptals in ein Waldstück. Es gab eine gewaltige Explosion, die das Flugzeug in viele Kleinteile zerbersten ließ, die sich auf einem rund 100 x 150 Meter großen Areal verbreiteten. Der Flight Lieutenant kam bei dem Absturz ums Leben.
Infolge des Absturzes musste die Freiwillige Feuerwehr einen durch brennende Wrackteile entstandenen Waldbrand unter Kontrolle bringen, während die Polizei erste Absperrmaßnahmen unternahm und die Einsatzstelle hermetisch abriegelte. Dennoch gelang es immer wieder Schaulustigen, bis zum Absturzort vorzudringen. Zahlreiche Fahrzeuge von Polizei, Feuerwehr und Bundeswehr, später auch von der britischen Luftwaffe aus Bückeburg sowie Hubschrauber waren am Einsatzort zu sehen, nahmen den Unfall auf und versuchten, etwas über dessen Hergang herauszubekommen. Die Polizeihubschrauber mussten sogar zur Nachrichtenübermittlung eingesetzt werden, da ausgerechnet an diesem Vormittag ein Funkrelais auf dem Ith ausgefallen war, berichtete damals die Tageszeitung.
Laut einiger Augenzeugen ist es dem Piloten Williams zu verdanken, dass in Stadtoldendorf niemand weiter zu Schaden gekommen war. Aus diesem Grund wurde nur ein Jahr später von den Stadtoldendorfern ein Gedenkstein für den Flight Lieutenant genau an der Absturzstelle gesetzt. Die Inschrift lautet:
IN AUSÜBUNG SEINER PFLICHT
STARB AM 21.3.1972
MIT DEM HIER ZERSCHELLTEN FLUGZEUG
DER FLIGHT LIEUTENANT P.A.D WILLIAMS
VON DER EINHEIT NO 20 SQUADRON
ROYAL AIR FORCE
Der fast in Vergessenheit geratene Stein wurde erst im Jahr 2010 durch die Arbeitsgemeinschaft „ViruS“ aus Stadtoldendorf von seinem eigentlichen Platz, der damaligen Absturzstelle, nach umfangreichen Restaurationsarbeiten durch Steinmetzmeister Joachim Lüchow um rund 500 Meter versetzt an einem Wanderweg aufgestellt. In der Homburgstadt ist man geteilter Meinung über den neuen Standort des Steines: Viele Menschen sehen in dem Stein „nur“ ein Denkmal an jenes Ereignis, viele andere aber den Grabstein des Piloten. Darum wird besonders auch der ehemalige Standort, die genaue Absturzstelle, nach wie vor liebevoll gepflegt.
Dieses war übrigens nicht der erste Absturz eines britischen Kampffliegers im Gebiet um Stadtoldendorf. Laut einem Wikipedia-Eintrag über die Stadt stürzte am 24. September 1952 ein weiteres britisches Kampfflugzeug vom Typ „Gloster Meteor“ nahe der Homburg unterhalb eines Jugendlagers ab. Auch bei diesem Absturz kamen die beiden Besatzungsmitglieder ums Leben. Arndt Wöbbeking aus Emmerthal hat in Archiven gesucht und dabei viele Hinweise und Fotos von den damaligen Ereignissen in Stadtoldendorf auftreiben können. Wöbbeking betreibt unter www.military-database.de eine umfangreiche Datenbank über das Militär – er und sein Team sind ständig auf der Suche nach neuen alten Geschichten, berichten von Zeitzeugen und Fotos, beispielsweise aus eigenen Wehrdienstzeiten.
Fotos: Wöbbeking, rus