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Dienstag, 08. Dezember 2015 08:04 Uhr

70 Jahre alte Unterlagen belegen: Stadtoldendorf sollte Teil der Rüstungsindustrie im Zweiten Weltkrieg werden (BP15) 70 Jahre alte Unterlagen belegen: Stadtoldendorf sollte Teil der Rüstungsindustrie im Zweiten Weltkrieg werde


Stadtoldendorf (rus). Alte Dokumente belegen: Stadtoldendorf hätte Teil der Rüstungsindustrie im Zweiten Weltkrieg werden sollen. Ein alter Schützengraben, Reste eines Sprengstoffbunkers und vermeintliche Einschusslöcher an einem alten Baumbestand könnten Zeitzeugen aus dieser längst vergangenen Zeit sein. Auch Überreste eines ledernen Soldatenstiefels kann ein Hinweis darauf sein, dass einst an jener Stelle zu Kriegszeiten Aktivität herrschte. Exklusiv für die Weser-Ith News haben wir die geheimen Dokumente etwas näher unter die Lupe genommen.

Jene Spuren gibt es offenbar zu finden in einem Gipssteinbruch bei Stadtoldendorf. Raimond Schulze, Hobby-Archäologe und Geschichtsinteressierter, ist diesen Hinweisen auf die Schliche gekommen. Er berichtet exklusiv auf der Onlinezeitung Weser-Ith News und in unserem Printmagazin "Blickpunkt" (Ausgabe Nr. 15) über ein geheimes Projekt aus dem Zweiten Weltkrieg, welches einst als geheime Kommandosache gekennzeichnet war und damit höchster Geheimhaltungsstufe unterlag. Teile damaliger Vorhaben sollen heute noch sichtbar sein, erklärt er im Gespräch mit der Redaktion.

Geheime Dokumente belegen die Rolle Stadtoldendorfs für die Rüstungsindustrie
Geheime Dokumente sollen seine Vermutungen belegen und Licht ins Dunkel bringen. Denn die jetzt in den Vereinigten Staaten  aufgetauchten geheimen Dokumente deuten darauf hin, dass Stadtoldendorf offenbar zu einem Teil der Rüstungsindustrie im Zweiten Weltkrieg werden sollte. Das „United States Holocaust Memorial Museum“ in Washington DC veröffentlichte entsprechende Unterlagen, aus denen ein geheimer Stollenbau hervorgeht, der in Stadtoldendorf geplant war. Mit stolzen 60.000 Quadratmetern sollte in den Gipssteinbrüchen unterhalb der Homburg ein großes unterirdisches Stollensystem entstehen. Mit dem geplanten Umfang war dies weit größer als die tatsächlich realisierte Untertageverlagerung im Stollen Gustav im Hils, die im Zuge der Zwangsarbeit in der Region ebenfalls Zeugnis aus dem Zweiten Weltkrieg ablegt. Als damals im Zuge des Krieges die Luftangriffe auf deutschem Gebiet zunahmen, verlagerte man Produktionen zunehmend untertage, um sie vor dem Feind zu schützen und geheim zu halten. Dazu nutzten die Nazis vorhandene Höhlen, Bergwerke oder auch Eisenbahntunnel, sorgten aber auch mit immer größer werdenden Projekten für die Neuschaffung weiterer Untertagebauten. Auch in Stadtoldendorf war offensichtlich so eine Untertageverlagerung im Bereich der Rüstungsindustrie geplant. Während im Hils zwischen Holzen und Lenne nachweislich Teile der V1- und V2-Raketen durch namhafte Firmen hergestellt werden sollten, darunter auch das damalige Volkswagen-Werk, war für Stadtoldendorf offenbar weit größeres geplant.

War hier der Bau eines Junkers Strahlenbombers geplant?
Denn hier sollte auf rund sechs Hektar Fläche die Firma Junkers aus Dessau ihre Fertigung ausbauen. Die Junkers Flugzeug- und Motorenwerke AG mit Sitz im ostdeutschen Dessau entstand 1936 in der Zeit des Nationalsozialismus aus der Verschmelzung der Junkers-Motorenbau GmbH und der Junkers-Flugzeugwerk AG. Die Firma war Hersteller einer Vielzahl von Motoren- und Flugzeugtypen und einer der bedeutendsten Rüstungskonzerne des Deutschen Reiches vor und während des Zweiten Weltkrieges. Im Laufe des Krieges wurden durch Junkers viele Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge unter zum Teil unmenschlichen Bedingungen beschäftigt. Sollte in Stadtoldendorf tatsächlich so ein Großprojekt der Rüstungsindustrie realisiert werden? Vermutlich sogar der Bau eines Strahlenbombers? Tiefergehende Hinweise oder gar Planzeichnungen gibt es keine mehr, jedoch unter dem Decknamen „B1 Schiefer Anhydrit“ zumindest belegbare Hinweise dafür, dass die Waffen-SS tatsächlich entsprechende Pläne für Stadtoldendorf vorgesehen hatte.


Ein Projekt der obersten Führungsebene
1944 berichtete der Dipl.-Ing. Kammler, seines Zeichens SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS, in einem geheimen Bericht über geplante Sondermaßnahmen des Jägerstabes der Waffen-SS, darunter auch über die Neubaumaßnahme „B1“ in Stadtoldendorf, in die die Fertigungsfirma Junkers eingeplant gewesen ist. Auf einem dieser Dokumente ist ein handschriftlicher Vermerk von Heinrich Himmler angebracht - als damaliger Reichsführer mussten ihm jene Pläne vorgelegt werden. Dies zeigt, es war ein Projekt aus der damals obersten Führungsebene. Hans Friedrich Karl Franz Kammler, 1948 durch Beschluss des Amtsgerichtes Berlin-Charlottenburg für tot erklärt, war deutscher Architekt und Leiter von Bau- und Rüstungsprojekten im Deutschen Reich. Als Leiter für das Bauwesen der SS war er unter anderem verantwortlich für alle KZ-Bauten einschließlich der Gaskammern und Krematorien. Ein Blick vor Ort lässt Raimond Schulze heute den Atem stocken. Denn genau an jener Stelle, wo auf einer Luftbildaufnahme aus dem schottischen Luftbildarchiv NCAP von Februar 1944 noch fester Gipsstein vorhanden war, sind heute Teile des vermeintlichen Bunkerbaus zu entdecken. Betonplatten, Ziegel und Gewindestangen scheinen letzte verbliebene Relikte zu sein, die auf einen Anfangs-Bau hindeuten könnten. Nach einem Augenzeugenbericht soll noch Mitte der 1970er Jahre ein Stollenstück von einigen Metern Tiefe vorhanden gewesen und durch spielende Kinder entdeckt worden sein. Auf einer alten Postkarte sind im Bereich des Steinbruches sogar zwei große Fernmeldemasten zu sehen.

Viele Fragen bleiben offen
Sicher ist, dass das Projekt in seiner tatsächlich geplanten Form nie vollständig realisiert worden ist. Vermutlich wurden sogar nur wenig Dutzend Meter Stollen gebaut, bis man feststellte, dass sich der Gipssteinbruch aus heute unbekannten Gründen doch nicht für eine Untertageverlagerung von Rüstungsprojekten eignete. Vermutlich waren fehlende geologische Möglichkeiten der Grund für die ausbleibende Realisierung, weiterhin sicher auch ein Mangel an Arbeitskräften, die vielerorts für die teils gigantischen Baumaßnahmen überhaupt nicht zur Verfügung standen. Wie bei so vielen Vorhaben des Zweiten Weltkrieges verliert sich aber auch hierbei an gewissen Stellen die Spur. Gut möglich, dass Beweise längst vernichtet wurden oder durch andere Gründe unwiederbringlich verschollen sind. Auch der letztendliche Verbleib von Kammler bleibt dabei ein Rätsel, dessen Leichnam man schließlich nie fand. Fakt scheint jedoch, hätte der Krieg nicht 1945 sein jähes Ende gefunden, wäre offenbar Stadtoldendorf bedeutender Teil der damaligen Rüstungsprojekte der Nationalsozialisten geworden. Raimond Schulze hat zu diesem Thema in weltweiten Quellen recherchiert und viel gefunden. Viele Fragen bleiben aber dennoch offen. Gibt es vielleicht noch weitere Geheimnisse rund um das Projekt, die niemand wissen sollte?

Zeitzeugen gesucht: Haben Sie selber Informationen oder Bildmaterial aus jener Zeit? Können Sie Hinweise oder gar Beweise zu den damaligen Projekten bei Stadtoldendorf beisteuern? Melden Sie sich bei uns! Auf Wunsch behandeln wir den Kontakt vertraulich.

Dies ist ein Artikel aus unserem Printmagazin Blickpunkt (Ausgabe Nr. 15).

Fotos: Schulze

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