Pflege von Angehörigen: Seniorenheim oder Hilfskraft zu Hause?
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- Kategorie: Region Aktiv
- Veröffentlicht: Freitag, 14. Februar 2014 08:08
Etwa 80 Prozent der rund 1,4 Millionen demenzkranken Menschen in Deutschland
werden von ihren Angehörigen betreut. Meist zu Hause, rund um die Uhr, sieben
Tage pro Woche. Nicht selten nach dem Motto „Ärmel hoch und durch, bis dass
der Tod uns scheidet.“ Statt Zeit für liebevolles Miteinander zu gewinnen,
opfern sich Familienangehörige durch nervenaufreibende Rundumversorgung auf, oft
um den Preis der eigenen Gesundheit. Das erstickt jedes Fünkchen Lebensfreude im
Keim, zerstört Beziehungen und Niemandem ist geholfen.
Spätestens bei ersten Anzeichen chronischer Überforderung ist es Zeit, sich
für Betreuung und Pflege nach fachkompetenter Hilfe umzusehen, sowie Qualität
und Effizienz der vielfältigen Dienstleistungsangebote auf Herz und Nieren zu
prüfen: Reicht es im aktuellen Stadium der Erkrankung aus, wenn der ambulante
Pflegedienst drei oder vier Mal am Tag vorbeikommt? Sind die Mitarbeiter für die
Pflege, zum Beispiel von Demenzpatienten, spezifisch ausgebildet? Bringt eine
osteuropäische Hilfskraft die gewünschte Entlastung und hat sie die für die
schwierige Pflege notwendige Erfahrung? Oder entspannt sich die Situation mit dem
Umzug in eine Seniorenresidenz, weil eine 24-Stunden-Betreuung durch speziell
ausgebildete Fachkräfte, den notwendigen Freiraum schafft für intensive Momente
und gemeinsame Aktivitäten, damit sich die Partner menschlich wieder
näherkommen?
Und vor allem: Ist das finanziell machbar?
1.350 Euro für einen Heimplatz
„Ja“, sagt Thomas Dicke, Leiter der Alloheim Senioren Residenz
„Lindenhof“ in Delligsen. Er rechnet vor, dass ein Platz dort zum Beispiel
nicht zwingend teurer sein muss, als sich zur Unterstützung einen mobilen
Pflegedienst oder eine Hilfskraft aus Osteuropa ins Haus zu holen: Rund 1.350
Euro kostet bei Pflegestufe 1, nach Abzug der Leistungen durch die
Pflegeversicherung, ein Doppelzimmer durchschnittlich im Seniorenheim. Für ein
Einzelzimmer sind je nach Größe etwa 1,50 bis 6,50 Euro pro Tag mehr zu
bezahlen. Die Höhe des Taschengeldes richtet sich nach den individuellen
Wünschen und Anforderungen des Bewohners. Im Schnitt sind es etwa 100 Euro im
Monat.
„Nicht mit Geld aufzuwiegen ist die neu gewonnene Gelassenheit, wenn pflegende
Angehörige die Last der Alltagsroutine in die Hände hochqualifizierter und
motivierter Fachkräfte legen und neue Kraft tanken“, umreißt Thomas Dicke die
Vorzüge der Versorgung in einer speziellen Einrichtung. „Viele der betagten
Menschen blühen wieder auf in Gesellschaft. Ein abwechslungsreiches
Veranstaltungsprogramm gibt ihrem Alltag Struktur und Farbe, und wir können sie
entsprechend ihrer noch vorhandenen Leistungsfähigkeit geistig und körperlich
fördern und in Schwung halten.“
2025 Euro für Hilfskraft aus Osteuropa, plus Kost und Logis
Für die Unterstützung der häuslichen Pflege durch eine osteuropäische
Hilfskraft müssen die Familien im Monat 2025 Euro auf den Tisch legen, wovon bei
Pflegestufe 1 rund 450 Euro erstattet werden.
Dazu kommen noch die Kosten für
die Verpflegung des Kranken, die des Betreuers und eventuell auch für dessen
Unterkunft, falls im eigenen Haus nicht genügend Wohnraum zur Verfügung steht.
Darüber hinaus können auch weitere Leistungen anfallen, falls zusätzliche
Unterstützung durch ambulante Pflegedienste notwendig wird. Das sind die
Zahlen, die die Caritas für die Vermittlung osteuropäischer Pflegehilfen anhand
eines konkreten Beispiels vor kurzem publik gemacht hat. Dazu gibt es auch
Informationen zur fachlichen Qualifizierung. Demnach werden die
„Betreuungspersonen“, so die offizielle Bezeichnung, in ihren Heimatländern
während ihrer sechswöchigen Ausbildung in die deutsche Sprache und Kultur
eingeführt, in der Grundpflege geschult und so auf ihren Einsatz vorbereitet.
Thomas Dicke findet es grundsätzlich gut, „wenn sich die häusliche Pflege wie
in diesem Fall auf viele Schultern verteilt und zur Zufriedenheit aller
Beteiligten stemmen lässt.“ Denn aus Erfahrung weiß er, dass der mit dem
Fortschreiten der Demenz einhergehende 24-Stunden-Bereitschaftsdienst als
Dauerbelastung an die Substanz der Angehörigen geht und aufs Gemüt schlägt.
Immerhin leiden Studien zufolge 60 Prozent der pflegenden Angehörigen an einer
Depression. „Mehr als bedenklich, wenn man erlebt, dass sich die Zufriedenheit
der Helfer spürbar auf das Wohlbefinden der Patienten auswirkt“, sagt Thomas
Dicke.
Es kann einsam werden um Betreute und Betreuer
Umso wichtiger ist es also, dass die Angehörigen eine Situation schaffen, die
die Lebensqualität für alle Beteiligten fördert. Das sei leider in der
Realität, gerade bei der häuslichen Pflege nicht die Regel. Angehörige, die in
liebevoller Absicht, oft neben Beruf und anderen familiären Verpflichtungen,
Partner, Eltern oder Großeltern betreuen oder die Pflege zu Hause begleiten und
organisieren, verlieren dabei, neben ihren soziale Kontakten, auch das eigene
Wohlbefinden aus den Augen. Die Folge: Es wird einsam um alte Menschen und ihre
Betreuer. Konflikte und Unzufriedenheit sind vorprogrammiert, wenn im Alltag kein
Raum bleibt für einfühlsame Gespräche, intensive Momente und ein herzliches
Miteinander.
Thomas Dicke ist die erste Anlaufstation für Partner, Kinder oder Enkelkinder,
die meist erst nach schmerzlicher Erfahrung den Mut finden, sich in der
Seniorenresidenz nach einer Alternative zur häuslichen Pflege umzusehen. Bevor
sie ihre Angehörigen in die Obhut der Einrichtung geben, können sie diese in
der ausgewählten Alloheim-Residenz sogar Probewohnen lassen. Zu erleben, wie es
den Betroffenen dabei geht, hilft der Entscheidungsfindung und ist im Erfolgsfall
ein starkes Argument für ein gutes Gewissen.
Zwei Fremde im vertrauten Heim
Vom Probewohnen war auch der 75-jährige Johannes M. überzeugt, als er sich
zunächst einmal vorsorglich nach einem Platz für seine demenzkranke Frau
erkundigen will. „Dabei waren ihm Resignation und Selbstzweifel bereits
deutlich anzusehen“, fasst Thomas Dicke seinen ersten Eindruck aus diesem
Beratungsgespräch zusammen. Er selbst erkenne sich mit dieser „oft
ohnmächtigen Wut“, die manche Situationen in ihm hervorrufen, gar nicht
wieder, erklärt Johannes. Er berichtet von schlaflosen Stunden, in denen er
seine Frau schützen musste, wenn sie sich am Herd zu schaffen macht, sich ein
Bad einlässt oder zu einem nächtlichen Spaziergang aus der Tür schleichen
will. Tagsüber sucht er nach allem, was sie ständig verlegt oder versteckt,
beantwortet immer harscher werdend die immer gleichen Fragen und erträgt mit
zusammengebissenen Zähnen ihre Vorhaltungen.
Dazwischen geht er einkaufen, kocht
und hält mit Unterstützung mobiler Dienste den Haushalt halbwegs in Schuss.
Zeitung lesen, ein Buch zur Hand nehmen oder Klavier spielen, telefonieren oder
Freunde einladen, dafür hat er einfach keine Kraft und irgendwann auch keine
Lust mehr.
Die Wesensveränderung seiner Frau aufgrund der schnell fortgeschrittenen Demenz
geht Johannes sehr ans Herz. Sie wehrt ihn ab, wenn er ihr beim Waschen oder beim
Gang zur Toilette helfen will, obwohl ihm das schon selbst nicht leicht fällt.
Sie wird laut und bockig, wenn er sie überredet, ihre Tabletten zu nehmen oder
ausreichend zu trinken, er ist ungehalten und wütend. Woher soll er neben der
fordernden Alltagsroutine auch die Geduld nehmen, ihren aus Ängsten genährten
Aggressionen mit dem Humor zu begegnen, der ihre gute Partnerschaft einstmals
auszeichnete? Am meisten bedauert er, seiner Frau schon lange kein guter Zuhörer
und Gesprächspartner mehr sein zu können.
Für Thomas Dicke ist das einer der typischen Fälle, in denen pflegende
Angehörige ihre Kräfte überschätzen, die Auswirkungen der Krankheit
unterschätzen und trotz aller Fürsorge die Beziehung zum Partner, oft auch zu
anderen Familienmitgliedern, aufs Spiel setzen.
Alte Zweisamkeit in neuer Umgebung
Für Johannes war es trotz der erdrückenden Belastung bei der Betreuung zu Hause
die schwerste Entscheidung seines Lebens, seine Frau in die Obhut einer
Einrichtung zu geben. „Er bereut sie bis heute nicht und er hat sie rechtzeitig
getroffen, was sich schon beim Probewohnen zeigte“, erinnert sich Thomas Dicke,
„seine Frau blühte auf, genießt jetzt nicht nur die gemeinsamen Stunden mit
ihrem Mann, beim Essen am Mittag und zur Teestunde, sondern hat sich mit
Pflegerinnen, Pflegern und Mitbewohnern angefreundet. Sie ist ruhiger und
deutlich aufmerksamer geworden und kann sich wieder über vieles freuen.“
Als Initiator und Begleiter mancher Ausflüge, Feste oder Musiknachmittage, als
Vorleser und Gesellschafter hat Johannes bei Mitarbeitern und Bewohnern einen
dicken Stein im Brett – und eine erfüllende Aufgabe gefunden, die ihn und
seine Frau wieder aufs Neue zusammenschweißt.
„Viele Angehörige warten einfach zu lange, bevor sie sich an uns wenden“,
sagt Thomas Dicke. „Wir wollen Angehörigen und Betroffenen helfen, bieten
unsere Unterstützung und Ratschläge an und haben immer ein offenes Ohr.“ Sein
Tipp: „Ein Gespräch oder eine Hausbesichtigung soll Angehörigen helfen, die
richtige Entscheidung zu treffen, und zwar für alle Beteiligten. Fast immer
höre ich dann den Satz: ´Wäre ich doch schon mal früher zu Ihnen gekommen`.
Für uns ist Pflege unsere tägliche Arbeit, bei der wir wissen, worauf es
ankommt. Bei den meisten Angehörigen ist es aber das erste Mal, das sie damit
konfrontiert werden und das überfordert sie natürlich.“ Er setzt darum auf
eine „Politik des offenen Hauses“ und sagt: „Wenn man sich das erste Mal
die Frage stellt, ob eine Seniorenresidenz nicht die bessere Lösung sein
könnte, dann sollte man unsere Einladung annehmen und sich von Profis beraten
lassen.“
Foto: Dicke