Wenn der „Rote Brasilienapfel“ Geschichten erzählt
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- Kategorie: Region Aktiv
- Veröffentlicht: Freitag, 02. Dezember 2016 14:54
Golmbach (kp). Bereits in seiner dritten Ausgabe aus dem Jahr 2013 berichtete der Lüneburger Streuobstwiesenverein in einem Obstsortenportrait über den „Roten Brasilienapfel“. Dann, pünktlich zum Apfelfest, erschien die Beschreibung dieser seit über einem Jahrhundert als verschollen geglaubten, dunkelroten Apfelsorte in einem Sonderdruck.
Das Interesse war groß – auch über die Landesgrenzen hinaus. Durch die große Resonanz wurden stets neue Standorte festgemacht und „beinahe vergessen geglaubte Geschichten rund um diesen Apfel können heute neu erzählt werden“, so der Lüneburger Streuobstwiesenverein.
Eine dieser Geschichten entstammt auch der Pflanzung eines „Roten Brasilienapfels“ im Garten von Christa Grothe in Golmbach.
Jetzt ist es offiziell: Nach langer Recherche und vielen Telefonaten erlangte die Betreiberin der Ferienwohnung „Goldbiki“ in Golmbach Anfang Oktober endlich Gewissheit. Christa und ihr Mann Dietmar besitzen mindestens einen dieser Apfelbäume, die die äußerst selten und fast schon gänzlich verschwunden geglaubten „Roten Brasilienäpfel“ tragen.
„All unsere Bäume wurden über die vielen Jahre sehr gut gepflegt“, sagt Grothe, „sie tragen gut – die Brasilienäpfel sind sehr lecker und aromatisch“. Seit fast 80 Jahren lebt und verschenkt der besondere Baum in zuverlässiger Regelmäßigkeit sein Obst.
Beim aufmerksamen Hinhören offenbart sich die Geschichte, die der „Rote Brasilienapfel“ im Garten der Familie Grothe zu erzählen hat
Als Christa Grothe aus dem Nachlass ihrer Mutter vor einigen Jahren auf eine Kiste stieß, offenbarte sich ihr ein Inhalt von unschätzbarem Wert. Als der Bruder sehr früh nach Ausbruch des zweiten Weltkriegs seinen Kriegsdienst antreten musste, entfaltete sich ein reger Briefwechsel zwischen ihm und seiner Schwester – Christa Grothes Mutter. Mehr als 800 Briefe findet sie, die von ihrer Mutter sorgfältig verpackt und aufgehoben wurden. Christa Grothe fängt an, sie alle zu lesen, zu ordnen und anschließend binden und verlegen zu lassen. Heraus kommt ein großes Zeitzeugnis: „Zwischen Elternhaus und Front“
Während der Bruder die unmittelbaren Torturen des Krieges miterleben muss, arbeitet die Schwester nicht weniger hart auf dem familiären Hof.
Es ist schließlich einer der Briefe, der Christa Grothe aufhorchen lässt
„In einem der Briefe sprach meine Mutter von der Brunsilie“, sagt sie. Doch einfacher wird die Nachforschung damit nicht. Erst nach vielen, längeren Recherchen bekommt sie die von ihr so sehnlichst erwartete Antwort. Die im Garten ihrer Mutter und ihres Onkels im Jahr 1940 gepflanzte „Brunsilie“ ist der „Rote Brasilienapfel“.
Der Briefwechsel zwischen Schwester und Bruder endet, als jener im Oktober 1943 an der Ostfront fällt. Der eine besondere Apfelbaum, für dessen Existenz der im Krieg gefallene Bruder und die Jahre später im Alter von 83 Jahren verstorbene Schwester mitverantwortlich waren, ist noch da. Er trägt nun schon seit Jahrzehnten - jedes Jahr aufs Neue - große und strahlend rote Äpfel.
Und wenn sich der Sommer dann allmählich verabschiedet, und mit der langsam eintretenden Herbstzeit die Apfelernte beginnt, wird auch der „Rote Brasilienapfel“ in Christa Grothes Garten in Golmbach wieder beginnen, seine eigene kleine Geschichte zu erzählen.
Fotos: kp