Vorgestellt: Wer die Pfadfinder sind und was diese besondere Gemeinschaft ausmacht (BP16)
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- Kategorie: Region Aktiv
- Veröffentlicht: Montag, 15. Februar 2016 09:00
Stadtoldendorf (rus). Wenn ich bislang an die Pfadfinder gedacht habe, dann an eine Gruppe, die um ein gemütliches Lagerfeuer im Wald sitzt, an ein gemeinschaftliches Zelten oder an das Spurenlesen wilder Tiere. Und natürlich an die Begabung eines Pfadfinders, sich in der Natur bestens zu Recht zu finden, aus Baumstämmen ganze Flöße zu bauen und mit wenigen Mitteln überleben zu können, zumindest länger als manch anderer. Tatsächlich wird mir schnell klar, sind die Pfadfinder von diesem Bild gar nicht so weit entfernt.
Zwar haben auch moderne Annehmlichkeiten wie warme Schlafsäcke, imprägnierte Allwetterkleidung und bequeme Luftmatratzen längst Einzug in das Pfadfinderdasein gehalten, das war es aber auch schon fast an zusätzlichem Komfort. In einer Sippenstunde konnte ich einen Eindruck gewinnen, wie die „Pfadis“ ticken und was diese ganz besondere Gemeinschaft ausmacht.
Naturverbunden, verantwortungsbewusst und hilfsbereit: Wenn man die Pfadfinder mit wenigen Worten beschreiben müsste, dann gehören jene sicherlich auf jeden Fall dazu. Es ist fast schon wie eine andere Welt, ohne Abhängigkeit von Smartphones, iPads und was sonst so Kinder und Jugendliche im konsumstarken 21. Jahrhundert vom wirklichen Leben ablenkt. Doch dazu später mehr. Wir sitzen im Pfadfinderheim auf dem Gelände des evangelischen Pfarramtes, also im Pfarrgarten. Eine kleine Hütte von geschätzt gerade einmal 40 Quadratmetern dient als Ausrüstungslager und Gemeinschaftsraum zugleich. Das Gebäude wurde 1976 errichtet und wirkt gut in Schuss. Draußen ist es bitterkalt, deshalb röhrt im Innenraum ein längst überholter Heizlüfter, daneben auch ein mit Gas befeuerter Ofen auf größtmöglicher Flamme. „Wenn die Sippenstunde vorbei ist, ist es dann auch warm“, sagt einer der jüngeren Pfadfinder mit einem Schmunzeln. Und er hatte Recht, denn nur für ein gemeinsames Foto ziehen die Pfadis am Ende ihre dicken Jacken einmal kurz aus. Um die Heizung kümmern sich die Pfadfinder selbst, Strom sponsert die Kirchengemeinde. Der Kirche ist die Pfadfinderschaft wichtig, ist sie doch eine der wenigen Kinder- und Jugendgruppen, die die Kirche vorzuweisen hat. Hier versucht man, Kindern und Jugendlichen eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung zu bieten.
"Do-it-yourself" in den Sippenstunden
In den Sippenstunden, wie sich die wöchentlichen Treffen nennen, wird gesungen, Spiele gespielt, oder auch mal gewandert. Natürlich stehen auch praxisbezogene Inhalte wie Erste Hilfe, Knotenkunde oder eben in vielen Fällen „learning by doing“ auf dem Programm. Da, wo Google und YouTube mit ihren vielfältigen Anleitungen und Do-it-yourself-Videos nicht weiter kommen, wird hier alles tatsächlich in der Praxis ausprobiert. Hier steht der „Survival-Aspekt“ im Fokus, praktisch Dinge zu erlernen und umzusetzen, nicht bloß in der Theorie. Wichtig ist, dass die Gruppe was tut und die Gemeinschaft sowie den Zusammenhalt pflegt. „Der Pfadfinder hilft wo er kann“, sagen sie. Das schweißt zusammen. Die klassische Kluft, bestehend aus einem Hemd und einem Halstuch, wird immer getragen und hat Symbolcharakter. Denn es zählt nicht, ob man Markenklamotten trägt oder sie sich nicht leisten kann, jeder ist in der Gemeinschaft gleich.
Eine Knobelaufgabe für die Sippe
Johann (16) hatte sich extra für die Sippenstunde eine kleine Aufgabe ausgedacht. Er hatte für drei Mitglieder aus seiner Sippe eine Tasche gepackt. Die Lage: „Ihr seid nachts mitten im Wald und müsst so schnell wie möglich in ein Dorf im Norden“. Mit dabei eine Tasche mit Streichhölzern, Blechgefäßen, Teelichtern, einer Taschenlampe, Zettel, Stift und einer Büroklammer. Schnell wird bei dieser Knobelaufgabe klar, hier muss ein Kompass gebaut werden. In der Gruppe wird diskutiert und probiert, bis es am Ende tatsächlich funktioniert: Mit dem Pluspol der Batterie aus der Taschenlampe wird die Büroklammer magnetisch aufgeladen. Der über Kerzenfeuer geschmolzene Schnee sorgt in einem der Gefäße für einen kleinen Wasservorrat. Darauf wird das dünne Blech eines Teelichtes gelegt mitsamt der Büroklammer. Ein erst später danebengelegter Referenz-Kompass zeigt, dass die zuvor aufgeladene Seite der Büroklammer tatsächlich in etwa in Richtung Norden zeigt. Hierfür gibt es physikalische Gründe, die in der Gruppe ebenfalls diskutiert werden.
"Man muss es einfach tun"
Sicherlich dürfte man wohl selten in eine derartige Lage kommen und dann auch noch genau die dafür benötigten Utensilien dabei haben. Dennoch verdeutlicht es aber, wie die Pfadfinder voneinander lernen. Aufgaben lösungsorientiert erarbeiten und das ganze spielerisch und ohne Zwang. Torsten Maiwald: „Wir machen keine klassische Ausbildung und Theorieunterricht. Bei uns läuft eigentlich alles auf das selbst erlernen und erfahren hinaus. Man kann beispielsweise ein Zelt selten allein durch theoretisches Erlernen aufbauen, zumindest unsere nicht, man muss es einfach tun, ausprobieren und auch mal umständliche Wege gehen dürfen“. Dabei unterstützen sich die Pfadfinder gegenseitig und leben sich ihre Philosophie einfach vor, anstatt von ihr zu predigen. „Alles was wir haben ist in der Tat auf das Leben im Freien ausgelegt“, so der Lebenspfadfinder Torsten Maiwald, der dabei auf einen alten und außen bereits stark verrußten Kochtopf zeigt. Kochen auf dem offenen Feuer sei zwar relativ altmodisch und eher unkomfortabel, für die Pfadfinder gehört es aber dazu. „Unsere Zelte haben nicht einmal einen Boden, oben ist eine Öffnung, um Rauch des wärmenden Lagerfeuers entweichen zu lassen“, so Maiwald weiter. Er ist schon seit vielen Jahren dabei und auch heute noch aktiv. Es ist das bewusste Leben, das hier im Vordergrund steht, weshalb auch Zigaretten und Alkohol nicht nur außen vor, sondern vollkommen tabu sind.
„Wir halten vieles für selbstverständlich, es beispielsweise zuhause warm oder überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben“, sagt Rebekka (18), die gerne auch mal eine Woche ohne Handy, ohne Erreichbarkeit und damit auch weitestgehend ohne ihre sonst üblichen Verpflichtungen lebt. In einem der regelmäßig stattfindenden Zeltlager ist dies gut möglich. Rebekka genießt diese Auszeit vom Alltag.
Sind die Pfadfinder nicht langweilig? Ein klares Nein!
Einen besonders großen Bekanntheitsgrad genießen die Pfadfinder allerdings nicht mehr. Regelmäßig werden die Mitglieder sogar von Außenstehenden gefragt, warum sie überhaupt dabei seien, ob es nicht altmodisch oder langweilig wäre. „Keinesfalls“ lautet in jedem Fall ihre Antwort. „Man muss schon dafür einstehen, was man hier tut“, sagt Torsten Maiwald. Er ist längst kein Wölfling mehr, hält aber den Pfadfindern seit vielen Jahren die Treue, darf sich zu Recht Lebenspfadfinder nennen. Alle unter ihnen meinen es ebenfalls ernst. Für sie scheint die Pfadfinderschaft mehr als nur ein Hobby zu sein. Da bis auf wenige Ausnahmen keinerlei Ausrüstung gestellt wird, müssen sich die Pfadfinder ihre eigenen Sachen selbst beschaffen. Wo bei anderen zu Weihnachten also Computerspiele oder Actionfiguren auf dem Wunschzettel stehen, ist es hier eher eine Luftmatratze oder eine wasserdichte Hose. Auch das hat damit zu tun, wie sehr man sich mit dem Thema identifiziert und sich als Teil einer eingeschworenen Gemeinschaft fühlt.
Die Christliche Pfadfinderschaft Deutschlands e.V.
Mit nicht einmal 20 Kindern und Jugendlichen werden die wöchentlichen Sippenstunden abgehalten. Ein zwangloses Treffen ohne Anwesenheitspflicht, es wäre durchaus mit anderen Hobbys, Freizeit und später auch dem Beruf vereinbar, steht aber doch längst nicht mehr im Fokus der Jugend. Dabei lernen die Kinder gerade bei den Pfadfindern fürs Leben. In Anlehnung an das Dschungelbuch sind die 6- bis 12-Jährigen in der Gruppe der Wölflinge zusammengefasst, von 12 bis 18 Jahren in einer Sippe. Die momentan einzige Sippe nennt sich Seeadler. „Traditionell tragen alle Sippen bei uns im Stamm den Namen einer Greifvogelart“, so Maiwald. Ihr Stamm mit Namen „Andreas Steinhauer“ ist in der CPD, der Christlichen Pfadfinderschaft Deutschlands e.V. organisiert. Die Pfadfinder sind organisatorisch also Teil der evangelischen Kirche. Dabei sein und aktiv mitmachen darf jeder, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder gar Konfession. Es gibt keinerlei Eintrittsbeschränkungen. Dabei sein kann also jeder, der möchte. Der kirchliche Aspekt rückt meist eher in den Hintergrund, regelmäßige Andachten und Gottes-dienste gibt es aber auch ab und an.
Auch die Pfadfinder kämpfen mit Nachwuchssorgen
Natürlich haben auch die Pfadfinder mit Nachwuchssorgen zu kämpfen. Geschätzt bleiben von anfangs zehn Wölflingen später nur noch einer bis maximal zwei dem Stamm erhalten, weiß Maiwald. Ein kritischer Punkt im Erwachsenwerden sei die Zeit, an dem die Schule zu Ende gehe. Viele wechseln den Ort, beginnen eine Ausbildung und später einen Job. Dies ist meist auch der Grund, dann weniger Zeit der Pfadfinderschaft widmen zu können. „Einmal Pfadfinder, immer Pfadfinder – oder du bist nie einer gewesen“, wie sie sagen. In der Regel sollte die Pfadfinderschaft mit der Freizeit durchaus vereinbar sein, sagen sie. Vielleicht wachsen manche aber auch allmählich raus.
Zwar verfügen die Stadtoldendorfer seit gut 15 Jahren auch über einen Freundeskreis, der haupt-sächlich aus langjährigen Pfadfindern besteht und die Jugendgruppe finanziell unterstützt. Allerdings besteht dieser aus derzeit nur 13 Personen, zumeist ältere Pfadfinder, die noch eine engere Bindung an den Stamm haben, damit eine Verknüpfung schaffen und Kontakt halten wollen. Es ist ein lockerer Zusammenschluss, kein Verein, der sich auf einen freiwilligen Spendenbeitrag geeinigt hat, der zu 100% dem Stamm zufließt. Ansonsten finanzieren sich die Pfadfinder durch Mitgliedsbeiträge, von denen ein Großteil aber bereits an ihren Bundesverband abgeführt wird. Weniger als die Hälfte verbleibt dann noch vor Ort. Auf Antrag gibt auch die Kirche was dazu, gelegentlich wird auch mal in der Kollekte Geld gesammelt. Früher war das Osterfeuer eine große Einnahmequelle der Pfadis, wo sie Getränke bereit-stellten und Bratwürstchen grillten, erinnern sich noch viele von ihnen. Allerdings fehlen heute oftmals Helfer für die Ausrichtung deratiger Events.
Einen Tag der offenen Tür gibt es 2016
In der Tat beruht die hauptsächliche Mitgliederwerbung auf Mundpropaganda, zumeist wenn die Kinder mit gerade einmal sechs Jahren noch in der Findungsphase sind. Auch in den Gemeindebriefen erscheinen regelmäßig Berichte über die Pfadis. Natürlich haben sie auch eine Homepage und sogar eine Facebookseite. Für 2016 planen sie einen Tag der offenen Tür, um über ihre Arbeit zu berichten. Gegründet haben sich die Stadtoldendorfer Pfadfinder übrigens schon 1922, in wenigen Jahren steht somit auch ein großes Jubiläum an. Interessierten steht die Tür jederzeit offen, jeder ist hier gerne gesehen. Die genauen Termine und Uhrzeiten gibt es im Internet oder über das Pfaaramt. Wer mehr über die Pfadfinder erfahren oder auch einmal dabei sein möchte, der findet weitere Informationen im Internet unter www.pfadfinder-stadtoldendorf.de
Dies ist ein Artikel aus unserem Printmagazin Blickpunkt (Ausgabe Nr. 16).
Fotos: rus, Maiwald, Kreikenbohm