Lesermeinung: Strategie 2020 aus Sicht von Jochen Zummach, Kriminalbeamter i. R. aus Stadtoldendorf
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- Kategorie: Politik
- Veröffentlicht: Samstag, 13. Februar 2016 13:18
Als Polizeibeamter von 1961 bis 2003, davon 18 Jahre Schutzpolizei und 24 Jahre Kriminalpolizei und seit 1966 in Stadtoldendorf wohnhaft, ist es mir ein dringendes Bedürfnis zu der „Strategie 2020“ der Neuausrichtung der Polizeidirektion Göttingen, Stellung zu beziehen. Die Kompetenz hierzu können mir auch nicht der Polizeipräsident von Göttingen, Herr Lührig, und sein Vizepräsident, Herr Wiesendorf, absprechen.
In meinen 42 Dienstjahren, davon 35 Jahre im Landkreis Holzminden, habe ich viele Polizeireformen oder Umstrukturierungen über mich ergehen lassen müssen. So u. a. die damals politisch gewollte Auflösung der eigenständigen Kriminaldienststellen, wie z. B. das Kriminalkommissariat Holzminden.
Die Kriminalbeamten wurden landesweit mit ihrer Fachkompetenz auf die Schutzpolizeidienststellen verteilt. Ich habe insofern davon profitiert, dass ich bei gleicher Besoldung als Leiter des Kriminal- und Ermittlungsdienstes und Vertreter des Dienststellenleiters zum damaligen Polizeikommissariat Stadtoldendorf umgesetzt wurde und ein Heimspiel hatte.
Zum PK Stadtoldendorf gehörten die Polizeistationen Eschershausen und Delligsen mit je zwei Beamten. Alle anfallenden Deliktsfelder wurden von den Beamten/innen aufgenommen und abschließend endbearbeitet, und zwar äußerst erfolgreich. Teilweise wurden Aufklärungsquoten bis 80% erreicht. Auch heute noch werden von der Polizeistation Stadtoldendorf mit den beiden o. a. Polizeistationen jährlich Aufklärungsquoten von über 70% - 75 % erreicht. Dies war und ist doch nur möglich, weil die Beamten/innen hoch motiviert ihren Dienst versehen haben und versehen, und weil sie Land und Leute kennen. Die Aufklärungsquoten sind seit Jahren übrigens mit die höchsten im Land Niedersachsen.
In dem Zuständigkeitsbereich der Polizeistation Stadtoldendorf befinden sich zur Zeit die Zentren für Migration in Eschershausen (ehem. DRK-Heim, z. Zt. 140 Personen, ehem. Jugendherberge, z. Zt. 70 Personen) und die Notunterkunft in Delligsen (z. Zt. ca. 150 Personen).
Brandneu hat der Landkreis Holzminden nach Mitteilung von Frau Marie-Luise Niegel leerstehende Immobilien (zwei Wohnblöcke) auf dem Gelände der ehemaligen Yorck-Kaserne in Stadtoldendorf für mögliche Unterbringung von Flüchtlingen bereits in Augenschein genommen. Wie schnell daraus dann tatsächlich Unterkünfte für Flüchtlinge werden können, haben wir in Eschershausen erlebt. Ein Scherzbold kann doch nur vermuten, dass der Landkreis sein Campe-Problem in Stadtoldendorf damit lösen möchte.
Nun sieht die „Strategie 2020“ vor, die Polizei in Stadtoldendorf zu schwächen, indem man noch mehr als schon geschehen, Beamte/innen abzieht, den Rund-um-die-Uhrdienst fast vollständig abschafft, um ihn nach Bodenwerder zu verlagern. Auf das, was man damit erreichen will, möchte ich nicht näher eingehen, weil es für mich nichts weiter als theoretische Zahlenspielereien und Verschiebungen von Zuständigkeitsbereichen auf der Landkarte sind.
Die Ereignisse aus der Silvesternacht in Köln, in Hamburg und anderen Städten in der BRD sind uns doch nicht nur bekannt, sondern haben uns doch schon in Eschershausen eingeholt. Siehe hierzu Bericht der Weser-Ith News vom 09.02.2016 „Wohnungseinbruch in Stadtoldendorf und Polizeidurchsuchungen in Eschershausen“. In diesem Zusammenhang ist es erwähnenswert, dass die Polizeistation Eschershausen seit Mitte letzten Jahres nur noch stundenweise an zwei Tagen von einem Beamten betreut wird. Den Rest seiner Dienstzeit muss er im geschwächten Ermittlungsdienst der Polizeistation Stadtoldendorf verbringen.
Aufgrund der oben aufgezeigten Ereignisse scheinen mir die Strategen der „Strategie 2020“ die Zeichen der Zeit nicht erkannt oder falsch eingeschätzt zu haben. Allein schon wegen der Flüchtlingsproblematik, die unseren Landkreis noch vehement beschäftigen wird, kann die Polizeistation Stadtoldendorf nicht weiter geschwächt, sondern muss deutlich verstärkt werden, um dem Sicherheitsgefühl der Bürger und Bürgerinnen gerecht zu werden.
Nach Medienberichten hat der Trend zur Aufrüstung auch den Landkreis Holzminden erreicht. Wir wollen doch wohl keine Bürgerwehren! Die Polizeien des Bundes und der Länder sollen nun endlich nicht weiter abgebaut, sondern erheblich verstärkt werden. Dies wird parteiübergreifend gefordert. Ich hoffe, dass der Innenminister des Landes Niedersachsen die Entscheidung der Polizeidirektion Göttingen nicht nur hinterfragt, sondern die „Strategie 2020“ verwirft.
Jochen Zummach, Stadtoldendorf
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